Gastbeitrag von Christin von Frau Wanderlust
„Ist schüchtern, wird rot beim reden“ stand mal in meiner Personalakte nach meinem allerersten Jobinterview über mich. Das war mit 21 und ich wollte damals ein Praktikum in einer Unternehmensberatung machen.
Das ist lange her und die Wenigsten, die mich heute kennen, würden glauben, dass jemand diesen Satz einmal über mich gesagt hat.
Aber ja! Das war die Zeit vor dem Reisen. Heute ist die Zeit, in der nach der Reise vor der Reise ist. So habe ich mir irgendwann einmal den Rucksack aufgeschnallt und bin in die Ferne aufgebrochen.
Das hat mich verändert, umgedreht, in einer Waschmaschine bei 90 Grad herumgewirbelt und wieder ausgespuckt. Heraus gekommen bin ich positiver, offener und entspannter.
Der Weg zum G L O B U S
Gesprächiger
Tatsächlich war ich früher deutlich schüchterner, als ich es heute bin. Irgendwie dachte ich damals, dass Andere mich möglicherweise nicht so akzeptieren würden, wie ich war. Also habe ich auch keinen fremden Menschen wirklich angesprochen.
Doch dann stand ich da, an einer überlaufenden Kreuzung, ganz allein mitten in Bangkok, mit meinem großen Rucksack auf den Schultern. Ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich laufen sollte und schnell wurde mir klar, dass es das Reisen viel einfacher machen würde, wenn ich „einfach“ Menschen anspreche. Wenn ich sie nach dem Weg frage, nach ihren Empfehlungen für gute Übernachtungsmöglichkeiten und nach leckeren Restaurants.
Gesagt, getan. Die Resonanz der Menschen auf mein Ansprechen hat mich etwas Wichtiges gelehrt!
Menschen kennenlernen ist etwas tolles. Die meisten freuen sich selbst über ein Gespräch, erzählen gerne etwas über sich und erfahren genauso gerne etwas über ihre Gesprächspartner. Leute anzusprechen macht deswegen super viel Spass und seitdem ich auf diesen Trichter gekommen bin, sind wenige vor mir sicher.
Lässiger – in mir ruhend
Durch das Reisen habe ich ein Stück mich selbst gefunden. Dadurch ruhe ich viel mehr in mir, als ich es zuvor getan habe.
Ich weiß mehr, was ich will und habe durch das Erleben und das Sehen von anderen Lebenseinstellungen und Kulturen meine eigene Mitte gefunden.
Außerdem hat mir das Reisen die Zeit gegeben, mich mit vielen, inspirierenden Büchern auseinander zu setzen, Yoga zu machen, mit dem Meditieren zu starten. Ich konnte und kann mich zudem mit anderen Reisenden dazu auszutauschen oder Erfahrungen bei Sonnenuntergängen selbst verarbeiten.
Das hat mich und die Suche nach mir selbst ziemlich geprägt.
Offener
Mit dem Reisen bin ich viel offener geworden, für alles. Für Menschen, für Essen, für neue Umgebungen, für Exotisches, für Ideen und Gedanken, für neue Wege.
Viel und gerne habe ich früher an Bestehendem festgehalten. Da wusste ich schließlich, was ich hatte und die Frage, ob nach dem Loslassen etwas Besseres kommen könnte, stand ja auf einem ganz anderen Papier.
Als Kind habe ich neues Essen immer nur kennengelernt, weil mein Vater sich im Restaurant unbekannte Essenkreationen bestellt hat. Für mich durfte es gerne immer wieder Spaghetti Carbonara sein.
Doch irgendwann hat sich beim Reisen gezeigt, dass das Probieren von Neuem so unglaublich viel Wert sein konnte. Wie viele spannende Menschen ich kennengelernt habe, weil ich ihnen offen und ohne Vorurteile begegnet bin.
Zudem ist es fantastisch, wie viele kreative Ideen auf einen einfließen können, wenn man Neuem mit Offenheit begegnet und es dann noch mit Bekanntem reflektiert und verbindet.
Und überhaupt. Hätte ich in Japan darauf gehofft, im Restaurant stets zu verstehen, was ich dort ordere, wäre ich verhungert.
Bewusster
Das Reisen hat mir gezeigt, dass die Welt ein Dorf ist.
Als ich im heimischen, beschaulichen Barleben (bei Magdeburg) aufgewachsen bin, schienen mir Nepal, Ecuador oder Fiji noch andere Planeten zu sein.
Die damalige Flüchtlingswelle aus afrikanischen Ländern nach Europa war für mich wie ein schlechter Spielfilm im Fernsehen. Doch die Nähe für diese Menschen und das Verstehen, dass wir alle in die missliche Lage kommen könnten, war mir damals fern.
Nach vielen Reisen, sehe ich heute, wie nahe wir alle beieinander sind. Wir sind alle Menschen, in uns fließt das gleiche Blut und die gesamte Welt ist vernetzt. Damit hat unser Handeln in der Heimat eine große Auswirkung an anderen Enden der Welt. Dessen müssen wir uns stets bewusst sein, wenn wir beispielsweise unser Geld bei Unternehmen wie Primark oder Nestle ausgeben.
Das Reisen hat mich für diese Zusammenhänge und für ein nachhaltiges Leben in Deutschland sensibilisiert.
Umsichtiger
Ich laufe heutzutage mit offeneren Augen durch mein Leben. An vielen Straßenecken warten Überraschungen und Schönheiten, denen man nur mit Achtsamkeit begegnen kann.
Auf Reisen habe ich stets Zeit, mit dem Blick für ein Bauwerk, für Menschen, Blumen, Vögel oder Landschaften durch die Welt zu laufen. Dabei entdecke ich immer wieder wunderschöne Sachen.
Auch zu Hause, vor der eigenen Haustür, warten diese Schönheiten. Doch festgehangen in einem arbeitsintensiven Job und voller Verpflichtungen, bin ich zu Hause oft an diesen Aufmunterungen vorbei gelaufen.
Das Reisen hat mir gelehrt, dass überall tolle Dinge auf mich warten, überraschende Gegebenheiten und schöne Aussichten, wenn ich nur bereit dafür bin und die Augen aufmache.
Selbstbewusster
Das alleine durch entlegene Länder Reisen, hat mich selbstbewusst gemacht.
Eine meiner ersten Reisen hat mich drei Monate lang von Sao Paolo in Brasilien bis hoch nach Quito in Ecuador geführt.
Dabei musste ich alleine Entscheidungen treffen. Ich habe auf Spanisch Einheimische kennengelernt, mir meine Wege gesucht, um 4 Uhr Morgens den Machu Picchu bestiegen und bin in Peru vierzig Kilometer durch eine Strassensperrung der Einheimischen gelaufen. An der Peruanisch-Ecuadorianischen Grenze habe ich mit viel Glück und um ein paar Dollar erleichtert eine Kurzentführung unbeschadet überstanden. Ich bin alleine in Kinos gegangen und hatte am Ende eine grandiose Zeit.
„Man nimmt sich immer selbst mit“, sagte mal ein Reisender zu mir. Und er hatte Recht.
Diese drei Monate haben mir gezeigt, dass ich mit mir wunderbar klarkomme. Ich kann überall auf tolle Leute treffen, auf Menschen die mich akzeptieren und ich komme auch in den entlegensten Winkeln zurecht. Das ist eine tolle Erfahrung.
Deine Reise, deine Erfahrungen!
So war das bei mir.
Am Ende des Tages wird jeder beim alleine Reisen seine eigenen Erfahrungen machen. Du auch! Doch eines hat mir mein lebensverändernder Reiseweg gezeigt: ein Jeder sollte einmal im Leben für eine gewisse Zeit alleine reisen. Sei es, um sich selbst oder um die Welt da draussen mit ihren vielen inspirierenden, fantastischen Menschen besser kennenzulernen. Oder einfach nur, um Spaß zu haben.
„Du nimmst dich immer selbst mit“! Deswegen nimm dich an die Hand und wandere los, mit deinen beiden Füssen, offenen Augen und Ohren, Neugierde und Offenheit. Ich verspreche dir, du wirst die Zeit deines Lebens haben und am Ende mit dir selbst im Reinen sein. „Wie froh bin ich, dass ich es getan habe!“
Über die Autorin
Christin hat während ihres Studiums entdeckt, dass Reisen und das Unterwegssein sie weiterbringen, als irgendeine Karriereleiter hoch zu klettern. Seitdem versucht sie den Spagat zwischen Arbeiten und Reisen. Sie war mehrmals auf Weltreise und hat inzwischen über 40 Länder und 5 Kontinente bereist. Auf ihrem Blog Frau Wanderlust schreibt sie darüber, wie du das Reisen mit dem Leben in der Heimat und dem Arbeiten verbinden kannst.
Hallo Imke,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, das war wirklich nicht so schön damals. Aber ich denke mir rückblickend, dass mir diese Erfahrung in der Zukunft geholfen hat wirklich immer auf meinen Bauch zu hören. Vielleicht hat mich das von anderem bewahrt 🙂
Das mit dem Zurückfallen kenne ich. Allerdings bleibt wohl immer etwas hängen und zumindest merkt man dann, wenn man alte Verhaltensmuster wieder annimmt und kann sich entscheiden, ob man etwas dagegen tun möchte. Außerdem ist nach der Reise hoffentlich vor der Reise und dann kommt man auch schnell wieder raus.
Hast du denn ein bestimmtes Beispiel für diese Angewohnheiten?
Viele Grüße zurück,
Christin
Oha… eine Blitzentführung gab es zum Glück bei mir zwischen Peru und Ecuador nicht, du machst ja Sachen 😉
Ich stimme dir in vielen Punkten zu und glaube auch, dass man als Person am alleine Reisen wachsen kann. Gleichzeitig hab ich manchmal ein bisschen Sorge, dass man dann nach der Rückkehr ins „normale Leben“ auch wieder in alte Verhaltensmuster zurück fällt. Ich glaub ein bisschen was von den positiven Effekten bleibt immer hängen, aber manche schlechte Angewohnheit schleicht sich im Alltag dann eventuell auch doch wieder ein. So geht es mir zumindest.
Viele Grüße
Imke
Hallo Stefanie,
vielen Dank für deine tolle Rückmeldung! Da freuen wir uns sehr drüber.
Es ist wirklich Wahnsinn, wie eine Reise einen an die Hand nimmt und dann irgendwann ein „anderes“ ICH wieder absetzt 🙂
Ich freue mich, dass du dich in diese Situationen so gut rein versetzen kannst. Es ist so ein Gefühl und wenn wir das einmal erlebt haben, dann lässt es uns nicht mehr los, glaube ich. Es ist immer wieder gut zu lesen, dass es anderen und vor allem dir auch so geht.
Wenn diese Zeilen auch nur einem Reisewilligen genug Mut machen, um aufzubrechen, wäre das grandios.
Reisefreudige Grüße sendet,
Christin Wanderlust 🙂
Liebe Christin,
ich finde mich in so vielen Sachen, die du beschreibst wieder. Es ist toll, wenn dir jemand so aus der Seele spricht und mit einfachen Vergleichen genau in die Mitte trifft. Da versuche ich, Daheimgebliebenen das Reisen achmackhaft zu machen und selbst mit 1.000 Worten kann ich nicht überzeugen. Du schreibst von exotischem Essen, dass du deine Mitte gefunden hast und dir plötzliche so viele kreative Gedanken einkommen. Ich weiß genau, was du meinst. Und ich weiß auch, dass es vielen da draußen genau so geht. Manche wissen es, manche (noch) nicht. Reisen verändert in vielen kleinen Schritten und irgendwann ist man ein anderer Mensch und blickt auf sein altes Leben zurück. Ich finde solch Weiterentwicklungen an anderen und auch an mir super spannend. Ich finde es toll, wie offen du von deinem alten Ich schreibst und wie authentisch du auf deine Veränderung zurückblickst. Ich hoffe, es macht vielen jungen Reiseinteressierten Mut.
Viele Grüße an euch zwei,
Stefanie